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Stellungnahme zur Mahnwache am 24. Februar 2023 auf dem Markt in Altenburg |

(Foto: Fabian Hoemcke )

Stellungnahme zur Mahnwache am 24. Februar 2023 auf dem Markt in Altenburg

Politik
01.03.2023, 16:08 Uhr
Von: Fabian Hoemcke
Am Freitag dem 24.02.2023 jährte sich der brutale Angriffskrieg Russlands.

An diesem bitteren Jahrestag fanden in der gesamten Bundesrepublik Veranstaltungen zum Gedenken, zum Mahnen und zum Trauen über das unsägliche Leid in der gesamten Ukraine statt. Kurzum: Es war ein Tag der Solidarität mit der Ukraine.

So gab es auch gleich zwei Veranstaltungen in Altenburg. Eine begann gegen 16 Uhr in der Brüderkirche und wurde anschließend im Büro der Bündnisgrünen fortgesetzt. Die andere Veranstaltung, der Gruppe „Give peace a chance“, begann ab 17Uhr auf dem Markt und lässt sich nur als „Mahnwache der Schande“ bezeichnen.

In einer etwa 10minütigen Rede, welche mir wesentlich länger vorkam, ging es, abseits von ein paar Floskeln, weder um Russland, noch um die Ukraine. Stattdessen wurde sich ausgiebig über die USA und die NATO ausgelassen. Es wurden sämtliche Kriege der letzten Jahre aufgezählt, welche durch die USA geführt wurden – mal mit, mal ohne NATO- oder UN-Mandat, mal mit, mal ohne deutscher Beteiligung. Wer zuhörte bekam den Eindruck, schuld an Russlands Krieg gegen die Ukraine seien in Wahrheit andere – wahlweise die USA, der Westen oder die NATO. Dass man das nicht so genau sagen kann liegt daran, dass ganz bewusst die Schuldigen eben nicht benannt wurden: die Russische Föderation. Aber auch die Duma oder namentlich Wladimir Putin fanden keine Erwähnung. Nicht einmal dann, als diese entscheidende Information an diesem Tag lauthals ergänzt wurde. Dieser Einwurf wurde jedoch weder aufgegriffen, noch ist man darauf eingegangen.

Das war keine Mahnwache.
Es fehlte nicht mehr viel und es wäre eine Propagandaveranstaltung des Kremls gewesen.

 

Sozialismus – Antifaschismus – Humanismus

  • Als Sozialist würde ich niemals über die Belange der Betroffenen hinweg agieren.
  • Als Antifaschist würde ich niemals das proto-faschistische Regime Putins in Schutz nehmen.
  • Als Humanist würde ich meine persönlichen Interessen niemals über das Leid anderer stellen.

Mit allen drei Punkten habe ich am Freitag auf dem Markt jedoch gebrochen.

Basierend auf den bisherigen Erfahrungen mit der Gruppe „Give peace a chance“ und den Veranstaltungen denen ich bewohnte oder bei denen ich aushalf, ging ich davon aus, dass sie – wie bisher auch – all diese Minimalstandards achten würde. Das war ein Fehler. Indem ich zusagte bei der Veranstaltung zu helfen, indem ich auch mehr machte, damit diese nicht wetterbedingt „ins Wasser fiel“ und indem ich bei der Rede nicht intervenierte, brach ich selbst mit diesen Prinzipien und versündigte mich an den Ukrainer*innen.

Ich könnte allen Göttern dieser Welt auf den Knien danken, dass bei dieser schäbigen Veranstaltung nicht mehr als gut zwei Dutzend Leute anwesend waren. Man bekam nahezu wortgleich das zuhören, was man mir Montag abends (ich, mit meiner Ukraineflagge in der Hand) auf dem Markt entgegen brüllte. 

Kein Wort darüber, wie es den Menschen aus und in der Ukraine geht und was sie wollen. Sie und ihre Belange wurden einfach ignoriert. Die Veranstaltung war nichts anderes als ein Missbrauchen der Betroffenen, gegen ihre eigenen Interessen.

Basierend auf diesem Ereignis, werde ich keine Veranstaltung der Gruppe mehr unterstützen.

 

„Lasst Ideen sterben, nicht Menschen!“

Karl R. Popper


Ein wichtiger Grundpfeiler humanistischen Denkens ist Poppers Appell.

Wenn etwa die Idee, dass man niemals Waffen liefern soll, dazu führt, dass Menschen sterben, oder zumindest mehr, als wenn Waffen geliefert würden, dann sollte man von ihr ablassen.

Auch wenn es schwer zu ermitteln ist, welche Handlung zu welcher Zeit genau zu welchem Ergebnis führen wird, gilt es zumindest erst einmal abzuprüfen, welche Handlung sich humanistisch begründen lässt und welche nicht. Zudem ist die Frage „Waffenlieferungen: Ja oder Nein?“ auch verkürzt. So kommt es neben vielen anderen Fragestellungen auch darauf an, was geliefert wird, in welchen Mengen und in welcher Zeit.

Natürlich gibt es auch Argumente gegen Waffenlieferungen und ich könnte hier einige nennen. Wahrheitswidrig und geschichtsvergessen zu behaupten, Waffen schafften niemals Frieden, käme mir allerdings nie in den Sinn.
Wenn nach endlosen Debatten – auch genau zu diesem Punkt – diese Aussage dennoch genau so wiederholt wird, wissentlich also Falsches behauptet wird, ist das nichts anderes als lügen.
Leider war es nicht die einzige Aussage an diesem Tag, welche an Geschichtsklitterung und Lüge grenzte.

Ich möchte an der Stelle der langjährigen Friedensaktivistin Sabine Fache danken, welche sich im Gegensatz zu mir ein Herz fasste und zum Mikrofon griff. Sie brachte glaubhaft zum Ausdruck, wie sehr es sie zerreißt, ihre Position (keine Waffen, keine Aufrüstung) weiterhin aufrecht erhalten zu wollen und auf der anderen Seite das Leid und das Sterben in der Ukraine zu sehen. Ihr war sichtlich anzumerken, dass es ihr darum geht, den Menschen in der Ukraine zu helfen und zur Befriedung der Welt beizutragen und nicht darum, sich zu profilieren.


„Wer aber den Frieden will, der rede vom Krieg.“

Walter Benjamin


Seit Wochen hören wir von einigen: „Wir müssen raus aus der Kriegslogik und hin zu einer Friedenslogik“. So auch am Freitag auf dem Markt. Dass das nichts weiter als Rhetorik ist, zeigt sich zum einen darin, dass man Frieden ohne Krieg nicht denken kann und zum anderen, dass man erst einmal etwas verstanden haben muss, um anschließend weiterdenken zu können.

Genau wie der am Freitag zitierte Albert Einstein, der nur deshalb neue Wege in der Physik beschreiten konnte, weil er das bis dato gültige Wissen verstanden und zur Anwendung gebracht hat. Auch wenn ich Einsteins pazifistische Bemühungen sehr ernst nehme, so war er eben Physiker und kein General oder Sicherheitspolitiker. Ein Nobelpreis befähigt leider niemanden dazu, immer und überall richtig zu liegen. Sein Aphorismus, so er denn von ihm ist, zeugt davon:

„Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten. Ein Zehntel der Energien, ein Bruchteil dies Geldes wäre hinreichend, um den Menschen aller Länder zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen.“.

Eine solche Welt wäre bedroht, von dem kleinsten und schwächsten Tyrannen geknechtet zu werden, da dieser mit einer noch so kleinen und noch so schwachen Armee imstande wäre, seine Nachbarn zu unterwerfen.

Derartige Infantilitäten waren an dem Tag kein Einzelfall und wären nicht problematisch, wenn sie nicht dazu dienten, von den Verantwortlichen abzulenken und wenn damit nicht Forderungen begründet werden würden, die höchstwahrscheinlich zu mehr Tod und Leid führen, vor allem unter der ukrainischen Zivilbevölkerung.Wir müssen akzeptieren, dass es diesen Krieg gibt, weil Putin es so will, dass dieser Krieg schon morgen endet, wenn Russland seine Truppen abzieht und dass die Ukraine kämpfen und sich verteidigen will. Es ist schwer zu akzeptieren, dass das nicht in unserer Hand liegt, dass nichts davon wir entscheiden können.

Wir können nur entscheiden, ob wir den Menschen in der Ukraine helfen, ob wir ihnen die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen und die Zivilbevölkerung zu schützen, oder nicht. Wir können nur entscheiden, ob wir mit allem Druck auf Russland – z.B. mit Sanktionen – Putin dazu bewegen, vom Krieg abzulassen und sich endlich verhandlungsbereit zeigen, oder nicht. Alle Friedensforderungen, alle Appelle, die noch nicht einmal nach Russland oder an Putin gerichtet sind, eignen sich dazu ausgesprochen schlecht.

Wir haben nicht die Wahl zu entscheiden, ob in der Ukraine Krieg oder Frieden herrscht. Aber wir können und müssen dabei helfen, Putin die Kriegsoption zunehmen!
Wer Frieden will, muss den Krieg verstehen, in allen seinen brutalen Facetten und in seinen nüchternen Banalitäten. Man darf sich nicht mit markigen Worten vor der Realität drücken, nicht mit Parolen betäuben.

Die Moderne erlaubt es uns Krieg beinahe mitzuerleben, ohne vor Ort sein zu müssen. Wir alle können im Detail sehen, wie brutal und grausam dieser ist. Ich habe gesehen, wie einem Soldaten in einem zerschossenen Panzer ein Arm amputiert wurde und dieser aufgrund des Schocks zwar noch „normal“ reagierte, aber keinerlei Anstalten machte, als man ihm die letzten Bänder, Muskeln und die Haut durchschnitt, die ihn noch mit seinem Arm verbanden. Ich habe gesehen, wie einem Soldaten mit einer von einer Drohne abgeworfenen Granate ein Bein zerfetzt wurde. Keine noch so gute Ausbildung hätte ihn davor schützen können. Es gibt keinen Schutz im Krieg, es kann jeden treffen. Ich habe gesehen, wie ein Soldat minutenlang im knietiefen Wasser eines Baches um sein Leben kämpfte und dieser dann jämmerlich ertrank, weil er aufgrund seiner Verletzung und seiner Ausrüstung es aus eigener Kraft nicht schaffte sich aufzurichten. Ich habe noch die Bilder vom Anfang des Krieges im Kopf, von Kindern in Blutlache, notdürftig abgedeckt, von Menschen in den Trümmern einer Schule oder eines Wohnhauses.

Wenn wir für Frieden eintreten wollen, wie wir es stets beteuern, so müssen wir uns auch mit dem Krieg beschäftigen. Nicht folkloristisch, nicht larmoyant klagen wie ach so schlimm Krieg sei und dass doch Frieden herrschen solle. All das wissen die Menschen in der Ukraine, in Afghanistan, in Syrien, im Südsudan, in Mali, in Äthiopien, im Irak, im Jemen auch – es hilft ihnen nur nicht.

Wir müssen anfangen die Realität anzuerkennen und zu benennen. In diesem Fall heißt das, anzuerkennen, dass Putin schuld an diesem Krieg ist, dass nur er ihn beenden kann und dass wir alles tun müssen, um Putins Russland dazu zu zwingen.

Für mich heißt das: Wenn diese Bereitschaft in einer Partei oder Organisation nicht erkennbar wird, wenn man sich auch weiterhin nur mit Frieden schmückt, sich aber nicht dem Krieg stellt, so kann ich eine Mitgliedschaft oder Zusammenarbeit mit dieser nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Die immer wieder anklingenden Appelle nach Waffenstillstand und Anklagen, dass angeblich bestehende Waffenstillstandsvereinbarungen unterbunden wurden, zeugen nicht nur von mangelnder Medienkompetenz (denn, dem war nicht so), sondern auch davon, dass Krieg nicht verstanden wurde.

Waffenstillstand ist kein Frieden und auch kein Etappensieg zum Frieden. Waffenstillstand ist Krieg. Es wird weiterhin besetzt, geraubt, vergewaltigt, verschleppt, gefoltert und gemordet. Spätestens seit Butscha und Irpin wissen wir, was das heißt, unter russischer Besatzung leben zu müssen. Ähnliche Berichte gibt es auch von der Krim.

Lediglich die Kampfhandlungen werden später fortgesetzt, mit dem Risiko, dass frisch massierte Truppen auf beiden Seiten imstande sein werden, noch verheerender und noch unbarmherziger zu kämpfen, mit mehr Tod, mehr Leid und auch mehr zivilen Opfern.

Zudem zeigt Butscha auch auf, weshalb die Ukraine nicht einfach die Gebiete aufgeben kann. Sie gibt damit nicht nur Boden und Ressourcen auf, sondern auch die Menschen die dort noch leben. Jede Forderung diesbezüglich müssten wir schon aus humanistischen Erwägungen zurückweisen. Aber auch aus friedenspolitischen Erwägungen darf sich Krieg nicht lohnen. Die Gebietsabtretungen liegen jedoch nicht in unserem Ermessen. Das hat die Ukraine zu entscheiden und sie hat sich entschieden. Auch, wenn sie sich später anders entscheiden mag.

Wer für Frieden ist, beschäftigt sich mit Krieg. Wer für Frieden ist, tröstet sich nicht mit Verschwörungsezählungen um die eigentlich wahren Verursacher des Krieges, nicht mit angeblich verhinderten Waffenstillständen oder Friedensverträgen und nicht mit wohlfeilen Sprüchen. Auch nicht mit der unsäglichen Behauptung, dass der Krieg gegen die Ukraine gesichert bis 2024 dauern werde, weil Pistorius zugesagt habe, die Panzerlieferung an die Ukraine bis dahin abgeschlossen zu haben und dass der Krieg auch so lange gehen werde, weil wir die Panzer liefern. So am Freitag geschehen.
Eine solche Behauptung zeugt entweder von Ignoranz, von enormer Bösartigkeit oder von unglaublicher Unkenntnis. Es steht zu befürchten, dass alles drei der Fall ist.

Die Veranstaltung am Freitag auf dem Markt war alles andere als das, was man von einer friedenspolitischen Veranstaltung hätte erwarten können. Sie war nicht sinnstiftend, sie war nicht tröstend, sie war nicht aufklärend und sie war ganz sicher nicht solidarisch.

Sie war ein kollektives Spucken auf den Gräbern der Getöteten in der Ukraine – und ich habe mitgemacht.
 

„Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“

Karl Marx

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